Ökologische Nachhaltigkeit: Eingesetzte Materialien (GRI 301)
Wir wohnen und arbeiten auf grossem Fuss: Der Gebäudesektor ist laut Bundesamt für Umwelt für rund einen Viertel der Schweizer Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein gewichtiges Rädchen im Bau-Uhrwerk ist dabei die Materialwahl. Und diese ist oft ziemlich kompliziert und hat teils weitreichende Folgen:
Weil wir als Genossenschaft laufend kleine oder grosse direkte oder indirekte Materialentscheide fällen, wollten wir uns vertiefter mit dem Thema beschäftigen.
In einem ersten Schritt haben wir das Thema Materialentscheid aus verschiedenen Perspektiven reflektiert und dokumentiert:
Unser Ziel dabei: Wir wollen Anknüpfungspunkte finden, wo, wann und mit welchen niederschwelligen Massnahmen wir bei der GWG künftig noch bewusstere Materialentscheide fällen können. Das machen wir hingegen nicht: bestehende Liegenschaften auf ihre Materialien untersuchen.
Beginnen wir auf einer grundsätzlichen Ebene – mit einem kleinen Theorieblock zum Thema Entscheidungen. Rationale Entscheide fällen Menschen, indem sie auf Basis verfügbarer Informationen verschiedene Varianten abwägen und diejenige wählen, die den grössten Nutzen bringen.
Normativer Rahmen
Organisationsspezifisches Wissen
Projektspezifisches Wissen
Materialspezifisches Wissen
Persönliches Wissen
Spannend ist dabei: Fehlt zu bestimmten Themen «externes» Wissen, wird das Thema nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen oder die Lücke wird mit persönlichen Erfahrungen, Überzeugungen und Präferenzen gefüllt.
Die Theorie legt nahe: In der Praxis können uns Entscheidungshilfen wie Checklisten oder Empfehlungen beim Abwägen von Varianten helfen und sicherstellen, dass wir keine wichtigen Faktoren vergessen und merken, ob und wo wir zusätzliches Wissen brauchen.
Ein Blick auf unseren Alltag zeigt, dass es bereits einige Arbeitshilfen gibt. Teils sind es schriftliche Dokumente, teils sind es informelle Kriterien oder Vorgehensweisen, die durch wiederholte Anwendung zur GWG-Gewohnheit geworden sind:
Ausbauempfehlungen: internes Dokument mit Ausbauempfehlungen für Fenster, Sanitärinstallationen und Einbauküchen für Bauprojekte aller Art.
Nachhaltigkeits-Checkliste: projektspezifisches Dokument, das vom externen Planungsteam für das Neubauprojekt Depot Deutweg erarbeitet wurde.
Informelle Kriterien: Entscheidungsfaktoren, die in keinem Regelwerk explizit festgehalten sind, sich aber im GWG-Alltag etabliert haben. Dazu gehört das Prinzip «sorgfältiges Abwägen von technischen, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten». Auf konkreter Ebene spielen Erfahrungswerte aus vergangenen Bauprojekten und die Herkunft der Materialien eine wichtige Rolle. Neuer hat auch die Eignungsprüfung nach Kreislaufprinzipien (reduce, reuse, recycle) an Bedeutung gewonnen.
Bei Sanierungen und Neubauten haben wir verschiedene Gremien, die Materialentscheide vorbereiten oder fällen.
Neben dem Wer und Was fehlt nun noch das Wie – oder anders gesagt: ein klassischer Ablauf einer Materialauswahl.
Bevor wir in zwei Beispiele aus der Praxis eintauchen, ein kleiner Exkurs zur Frage: Warum ist eigentlich eine vordergründig simple Materialwahl in Wirklichkeit oft ein Entscheid zu Gunsten eines ganzen Systems? Die Materialwahl ist ein Systementscheid, weil ein Bauteil fast immer aus mehreren Materialien besteht. Zudem sind die Herstellung, das Verbauen und der Unterhalt je nach Bauteil anders. Und je nach Bauteil können und müssen auch in Zukunft andere Entscheide getroffen werden.
Weil ein Materialentscheid unmittelbare Folgen hat, lohnt es sich, verschiedene Systemvarianten aus unterschiedlichen Perspektiven zu bewerten. Zum Beispiel aus den folgenden Blickwinkeln: Qualität, Ökologie, Gesellschaft und Wirtschaftlichkeit.
Praxisbeispiel 1: Systemwahl Sanierung
Wir beginnen mit einem sehr grossen Systementscheid – namentlich mit dem Beispiel «Hündlerstrasse». Bei unserer Siedlung in Dättnau standen wir kürzlich vor dem Entscheid, ob wir die Liegenschaft konventionell oder sanft sanieren sollen.
Was ist der Unterschied? Bei einer konventionellen Sanierung wird die Siedlung technisch, energetisch und funktional so aufgerüstet, dass sie wieder mindestens für die nächsten 30 Jahre fit ist. Das braucht mehrere Wochen Zeit und nicht alle Arbeiten können im bewohnten Zustand durchgeführt werden. Bei einer Softsanierung wird nur gemacht, was gemacht werden muss, damit eine grössere Sanierung rund 15 Jahre hinausgeschoben werden kann. Darum dauert sie weniger lang und kann so organisiert werden, dass Bewohner:innen durchgehend in der Wohnung bleiben können.
Praxisbeispiel 2: Systemwahl Fensterersatz
Der Entscheid für eine Sanierung erfordert viele weitere Entscheide. So auch bei der Softsanierung der GWG-Siedlung Hündlerstrasse. Nach einer Abwägung und einem Entscheid für einen Fensterersatz gingen wir unmittelbar der nächsten Frage nach: Welches Fenstersystem schneidet bei einer Prüfung nach GWG-Kriterien am besten ab?
Nachdem wir das Thema Materialentscheid aus verschiedenen Perspektiven reflektiert und dokumentiert haben, ist uns nochmals bewusst geworden, wie komplex das Thema ist.
Nicht nur das Thema Materialien ist kompliziert. Auch die GWG ist ein lebendiges System aus vielen Personen, die bei der GWG arbeiten oder mit der GWG zusammenarbeiten und die sich in verschiedenen Konstellationen für ein «faires Zuhause» für viele Menschen einsetzen. Beide Erkenntnisse helfen uns, Ideen zu spinnen, wie und wo wir einfach ansetzen können, um noch bewusstere Entscheide zu fällen.
Welche Massnahmen geplant sind, welche wir umgesetzt haben und welche wir warum nicht schaffen, ist im Statusbericht zu finden.
(Stand 2024)