Soziale Nachhaltigkeit: Fokus Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit (GRI 406):
Beim Bau, bei der Wohnungssuche, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz: Diskriminierende Denkmuster und Verhaltensweisen sind strukturell in unserer Gesellschaft verankert. Das bedeutet für uns: Wir sind uns bewusst, dass bei der GWG Menschen gewollt oder unbemerkt aufgrund von Merkmalen, welche die bewerteten Personen selbst nicht beeinflussen können, benachteiligt werden können. Zum Beispiel wegen ihrem Hintergrund, ihrem sozialen Status, ihrem Aussehen, ihres Alters, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer physischen oder psychischen Gesundheit.
Für uns als GWG ist darum klar: Wir müssen als Genossenschaft unseren Beitrag leisten, um dies zu verhindern. Etwas komplexer war die Frage: Wo fangen wir an?
Das Umfeld und ein sicheres Zuhause leisten einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Darum liegt auf der Hand: Das Thema «Zugang zu Wohnraum» steht ganz am Anfang, wenn es bei Wohnbaugenossenschaften um soziale Nachhaltigkeit geht. Wir haben darum entschieden, im Kern unseres Tuns zu beginnen und den Fokus auf unsere Vermietungspraxis zu legen. Wir sind dafür in die GWG-Geschichtsbücher eingetaucht, haben unsere Vermietungsgrundsätze mit anderen Modellen verglichen und unseren sogenannten Vermietungsablauf unter die Lupe genommen.
Beginnen wir von vorne: Die GWG ist ein Kind der Arbeiterbewegung. Die Gründung der GWG 1939 war die Antwort auf die anhaltende Wohnungsnot (Leerstand unter 1%) in der Zwischenkriegszeit. Mit dem Ziel des Baus von 3- bis 4-Zimmer-Wohnungen für Arbeiter:innen und Angestellte und Anteilscheinen in eher «symbolischer» Höhe wandte sich die GWG explizit an ein anderes Publikum als Bauträgerinnen, welche vor allem den Reihenhausbau propagierten. Neben Haushalten mit Schweizer Pass fanden im Laufe der Jahre auch viele Gastarbeitsfamilien bei der GWG ein bezahlbares Zuhause. Diese Wertehaltung prägt uns bis heute. Und unsere Statuten halten nach wie vor fest, dass wir unsere Wohnungen «allen Bevölkerungskreisen» anbieten, «die gegenseitige Solidarität» fördern und unsere «gesellschaftliche Verantwortung» wahrnehmen.
Enormes Interesse an der Besichtigung der Musterwohnung in der Siedlung Eisweiher, 1944.
Im Arbeitsalltag bedeutet das: Wir investieren viel Zeit in faire Lösungen – gerade auch im Zusammenhang mit der aktuellen Wohnungsnot in Winterthur. Diese hat auf dem Wohnungsmarkt zur Folge, dass der Druck auf vulnerable Personengruppen noch einmal verstärkt wird. Eine Herausforderung, welche die GWG bereits aus ihren Anfängen kennt.
Dass die GWG-Bewohnerschaft sehr durchmischt ist, hat auch mit unserem Vermietungsmodell zu tun. 2018 haben wir schrittweise vom Wartelistenprinzip auf ein neues Modell umgestellt. Heute schreibt die GWG alle freien Wohnungen auf der Website und via Newsletter aus. Die Besichtigungstermine werden verlost und wir folgen einem vorgegebenen Vermietungsablauf:
Die Schritte im Detail:
Unsere Wohnungen werden auf der Website ausgeschrieben und via Newsletter kommuniziert. Auch bei ausserterminlichen Kündigungen.
Interessierte Haushalte haben ab Publikation zwei Tage Zeit, um online an der Auslosung für die Wohnungsbesichtigung teilzunehmen. Das Anmeldeformular ist so einfach wie möglich gestaltet und lässt sich mit den gängigen Übersetzungstools übersetzen. Damit niemand umsonst an eine Besichtigung kommt, fragen wir neben den Kontaktdaten proaktiv, wie viele Personen einziehen würden (Mindestbelegung) und ob eine Katze gehalten wird (teilweise nicht erlaubt). Die Kommunikationsfähigkeiten haben keinen Einfluss auf die Höhe der Chance, eine Wohnung besichtigen zu können.
Wer an die Besichtigung kommen kann, entscheidet ein numerischer Zufallsgenerator. So oder so kommen dürfen Haushalte, die bereits bei der GWG wohnen (ohne Zuschlagsgarantie auf die Wohnung). Der Hintergrund: Wenn sie intern umziehen, hat das oft eine bessere Belegung zur Folge und eine andere Wohnung wird dafür frei.
Interessierte nehmen persönlich an der Wohnungsbesichtigung teil.
Wer Gefallen an der Wohnung findet, kann sich anschliessend für die Wohnung bewerben. Im Bewerbungsformular werden nur Informationen abgefragt, die auch der Mieterverband als zulässig erachtet. Das Formular kann online auf der Webseite der GWG ausgefüllt mit Hilfe von gängigen Tools übersetzt werden. Die GWG wählt aus allen Bewerbungen aus, wer zu einem Kennenlerngespräch eingeladen wird.
Die GWG wählt aus allen Bewerbungen aus, wer zu einem Kennenlerngespräch eingeladen wird. Die Auswahl geschieht auf Basis objektiver Kriterien, Erfahrung und menschlicher Abwägung und wird mindestens zu zweit gemacht.
Stimmt es für beide Seiten, schliesst die GWG mit dem in der aktuellen Situation am besten passenden Haushalt einen Mietvertrag ab.
Ein paar Zahlen: Aktuell haben rund 12 000 Personen unseren Wohnungsnewsletter abonniert. An den Auslosungen für Besichtigungstermine in der Stadt Winterthur nehmen im Durchschnitt 250 und im Einzelfall bis zu 700 Haushalte teil. Von den 24 ausgelosten Haushalten bewerben sich nach der Besichtigung im Schnitt 10 für eine Wohnung.
Freie Wohnungen bei der GWG (Wohnungsfinder)
Ein Vergleich mit anderen gemeinnützigen Wohnbauträgerinnen im Kanton Zürich zeigt: Die Vermietungsmodelle sind sehr unterschiedlich – sowohl, was die Zielgruppe, als auch, was das Ausschreiben der Wohnungen und die Auswahlmethodik betrifft. Einige Genossenschaften bieten ihre Wohnungen nur bestehenden Mitgliedern an oder verzichten nach Möglichkeit auf die Veröffentlichung ihres Wohnungsangebotes. Unter anderem darum, weil sie den Grossandrang nicht bewältigen könnten. Andere Wohnbauträgerinnen haben sich auf eine Personengruppe spezialisiert. Oder sie legen für Siedlungen einen soziodemografischen Mix fest und suchen gezielt nach den entsprechenden Profilen. Wieder andere bevorzugen Personen, welche sich zu ökologischen Grundsätzen verpflichten oder sich bereit erklären, sich für das Zusammenleben in der Siedlung zu engagieren. Nochmals andere machen es wie die GWG: Sie setzen auf ein Losverfahren. Zusammen bieten Genossenschaften so ein vielfältiges Angebot für eine breite Zielgruppe.
Die GWG kennt, auch historisch bedingt, nur wenige verbindliche einschränkende Kriterien. Sie lassen sich an einer Hand abzählen: Der rechtliche Rahmen muss eingehalten werden, die Belegung muss stimmen, Katzen dürfen nur da wohnen, wo sie erlaubt sind, Zweitwohnungen sind nicht Teil unseres Angebots und der Mietzins muss selbstständig oder dank Unterstützung der öffentlichen Hand getragen werden können. Auch tiefe Anteilsscheine, die anstelle eines Mietzinsdepots in vergleichbarer Höhe gelöst werden, führen dazu, dass die GWG zwar nicht für ganz alle, aber für sehr viele Personen offensteht.
Auch spannend: Oft diskutierte verbindliche Richtlinien zu Einkommensobergrenzen haben wir nicht. Einerseits, weil eine soziale Durchmischung in unserer Gesellschaft eine wichtige Grundlage für Chancengerechtigkeit darstellt und das gegenseitige Verständnis fördert. Und andererseits, weil eine Einkommensobergrenze gerade in unseren ländlichen Siedlungen das Leerstandrisiko erhöht – und ein aus Leerstand entstehender Schaden solidarisch getragen werden muss. Das bedeutet in der Praxis nicht, dass das Einkommen keine Rolle spielt. Bei der Abwägung, mit wem wir einen Mietvertrag abschliessen, ist nebst der Durchmischung auch entscheidend, ob ein Haushalt auf eine günstige Wohnung angewiesen ist.
Die qualitative Prüfung unseres Vermietungsablaufes auf Diskriminierungsrisiken zeigt: In unserem Ablauf steckt bereits viel Denkarbeit und er wurde in den letzten Jahren immer wieder optimiert. Perfekt ist er aber nicht und wird es wahrscheinlich auch nie sein. Darum die logische Konsequenz: Bei einer Überprüfung auf der Geschäftsstelle haben wir Anknüpfungspunkte gefunden, die uns helfen, weiterzudenken und uns weiter zu verbessern. Ein kleiner Einblick:
Die Hürden, die genommen werden müssen, um sich überhaupt für eine Wohnung bewerben zu können, sind zahlreich. Dies sind unter anderem:
Beispiel für bestehende Massnahmen: Indem wir Personen bei Unsicherheiten (Sprache, digitale Fähigkeiten) bei uns am Empfang beim Ausfüllen helfen, können wir den Zugang etwas erhöhen.
Nicht alle Personen können (gleich einfach) eine Wohnung bekommen. Verschiedene Kriterien müssen erfüllt werden. Sie müssen sich zum Beispiel die Wohnung leisten können, eine Aufenthaltsbewilligung haben und unsere Belegungsrichtlinien erfüllen.
Nach den Besichtigungsterminen entscheiden wir auf Basis von objektiven Kriterien, Erfahrung und menschlicher Abwägung, wer die Wohnung bekommt. Hier kann es potenziell zu Benachteiligungen kommen.
Beispiel für bestehende Massnahme: Um den Entscheid so fair wie möglich zu gestalten, wird dieser Entscheid immer zu zweit im Austausch gefällt.
Auch auf grundsätzlicher Ebene wollen wir mehr Sicherheit beim Thema «Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung» gewinnen und Fortschritte machen. Deshalb haben wir uns folgende Ziele für die kommenden Jahre gesetzt:
Welche Massnahmen geplant sind, welche wir umgesetzt haben und welche wir warum nicht schaffen, ist im Statusbericht zu finden.
(Stand 2024)